
Bisher 305 Bürgerentscheide in NRW. Sieben davon zu Flüchtlingsunterkünften. Drei mal stimmten Bürgerinnen und Bürger gegen Asyl-Standort
Die direkte Demokratie wird in Deutschlands Städten und Gemeinden gelebt: An jedem Sonntag stimmt die Bevölkerung statistisch gesehen in zwei bis drei Kommunen über eine lokalpolitische Frage ab. Oft geht es dabei um Wirtschaftsprojekte wie Hotels, Einkaufszentren oder Windparks, um öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten, Sportstätten, Bäder und um Verkehrsprojekte wie Umgehungsstraßen, Radverkehrsinfrastruktur und Fußgängerzonen.
Das geht aus dem Bürgerbegehrensbericht 2025 hervor, den der Fachverband Mehr Demokratie am heutigen Mittwoch (21.5.) vorgestellt hat. In NRWs Städten, Gemeinden und Kreisen gab es bisher 936 Bürgerbegehren und 36 Ratsreferenden (Rats- respektive Kreistagsbürgerentscheide). Sie mündeten in 305 Bürgerentscheide. Zudem wurden 148 Bürgerbegehren von der Politik übernommen. 2024 wurde in NRW 26 Bürgerbegehren und vier Ratsreferenden initiiert, daraus resultierten fünf Bürgerentscheide. Was die zulässigen Themen betrifft, erhält NRW von Mehr Demokratie die Schulnote 3-. Die Unterschriftenquoten sind niedrig bis durchschnittlich, die Zustimmungsquoten ist mittel bis hoch.
229 direktdemokratische Verfahren wurden in deutschen Kommunen 2024 angestoßen. 179 Mal kam es zu einem Bürgerentscheid. Damit ist die Praxis seit der Corona-Pandemie leicht rückläufig. Die lebendigste Praxis verzeichnet nach wie vor Bayern mit 93 Verfahren, gefolgt von Baden-Württemberg (31) und NRW (30). Damit summieren sich die Bürgerbegehren in Deutschland auf insgesamt 7.839, die Bürgerentscheide auf 4.768. Hinzu kamen 1.614 Ratsreferenden, die von der Gemeindevertretung beschlossen wurden. Gut eintausend Mal setzte eine Initiative ihre Ziele auch ohne Bürgerentscheid durch: weil die Gemeindevertretung ihre Forderungen übernahm.
Die direkte Demokratie habe sich auf kommunaler und auch auf Landesebene bewährt, so Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von Mehr Demokratie. Es sei überfällig, den bundesweiten Volksentscheid einzuführen. „Das wäre eine vertrauensbildende Maßnahme. Per Volksentscheid können politische Entscheidungen korrigiert, aber auch angestoßen oder durchgesetzt werden. Sie gibt den Bürgerinnen und Bürgern das gute Gefühl, dass ‚die da oben‘ eben nicht einfach machen können, was sie wollen.“
Ein eigenes Kapitel des Bürgerbegehrensberichts widmet sich Bürgerentscheiden zu Flüchtlingsunterkünften in den Jahren 2015 bis 2024. Eine überraschende Erkenntnis: Im Westen haben fast 70 Prozent aller Bürgerentscheide zu Flüchtlingsunterkünften in den Gemeinden ein flüchtlingsfreundliches Ergebnis. In den Jahren 2023/24 war es sogar in über 83 Prozent der Fälle so. „Fremdenfeindlichkeit und direkte Demokratie – die Vermählung gelingt nur selten“, so Beck.
Insgesamt 27 einschlägige Bürgerentscheide gab es in den Jahren 2015 bis 2024. 16 davon endeten flüchtlingsfreundlich: Zwölfmal stimmte eine Mehrheit für einen geplanten, zweimal für einen besseren Standort. Zweimal scheiterte der Versuch, einen Standort zu verhindern, an zu geringer Beteiligung. Flüchtlingsunfreundlich, nämlich mit der rechtlich verbindlichen Ablehnung eines Standorts, endeten zehn Bürgerentscheide; darunter alle vier Bürgerentscheide in Ostdeutschland. Ein Bürgerentscheid behandelte die Frage, ob die Gemeinde mobile oder feste Unterkünfte einrichten sollte. Er wurde als neutral bewertet.
In den Jahren 2015 bis 2024 fanden in NRW sieben Bürgerentscheide zu Flüchtlingsunterkünften statt. Drei davon hatten ein flüchtlings-freundliches, eben so viele ein flüchtlings-unfreundliches Ergebnis. Ein Bürgerentscheid war in dieser Hinsicht neutral. Die meisten Versuche, mit Hilfe der direkten Demokratie eine Unterkunft zu stoppen, scheitern zudem bereits in frühen Phasen des Verfahrens. Sei es, weil nicht genügend Unterstützer-Unterschriften geleistet werden oder die Fragestellung unzulässig ist.
Seit 2007 erhebt Mehr Demokratie Daten zum direktdemokratischen Geschehen in den Gemeinden Deutschlands, zusammen mit seinen Partnern, dem Institut für Partizipations- und Demokratieforschung der Bergischen Universität Wuppertal (IDPF) und der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an der Philipps-Universität Marburg, legt der Verein nun seinen achten Bürgerbegehrensbericht vor.